Hechte, Karpfen und andere Fische

Rezepte für leckere Fischgerichte verrate ich Ihnen an dieser Stelle nicht, ich habe stattdessen wieder ein paar Tipps aus dem Teich gefischt: heute zum Thema Marketing im Allgemeinen.

Sie kennen sicher alle das Sprichwort vom Hecht im Karpfenteich – der schnelle, flexible Hecht unter behäbigen, langsamen Karpfen oder der bis zu 100 km/h schnelle Schwertfisch1) unter panischen, ohne ihren Schwarm orientierungslosen Heringen. Sie ahnen, worauf ich hinaus will – Flexibilität und Individualität gegen Behäbigkeit und Schwarmverhalten.

Der Kern einer jeden Marketingstrategie ist das Kundenerlebnis, das heißt, die Art und Weise, in der Sie die Wünsche und den Bedarf Ihres Kunden erkennen und nicht einfach nur erfüllen, sondern Ihren Kunden begeistern und an sich binden. Ein Kundenerlebnis ist kein punktuelles Erlebnis, sondern entwickelt sich über einen individuellen Zeitraum, der wie in folgenden groben Schritten ablaufen kann:

Der potenzielle Kunde sammelt zunächst Informationen, er informiert sich über die Dienstleistung, die er beauftragen will. Er vergleicht die Angebote und entscheidet sich für das für ihn günstigste, das heißt, das, das seinen Vorstellungen am nächsten kommt.

Der Kunde vergibt den Auftrag, er erhält das beauftragte Produkt (die Übersetzung) scheinbar wie vereinbart – scheinbar, denn er bekommt noch etwas dazu, ein kleines „Goodie” wie ein fünf oder vielleicht zehn Begriffe umfassendes Glossar zum Beispiel.

Ihr Kunde ist ausgesprochen zufrieden und beauftragt nicht nur weitere Übersetzungen, sondern erfragt und beauftragt zusätzliche Dienstleistungen wie Lektorate, Korrektorate oder bittet Sie, ihm eine Rede oder einen Artikel für seine Mitarbeiterzeitung zu schreiben.

Das ist der Punkt, an dem Sie Ihrem Kunden ein ihn hervorragendes Kundenerlebnis verschafft haben. Sie haben nicht nur seinen Bedarf erkannt, ihm aufmerksam zugehört und seine zwischen den Zeilen formulierten Wünsche richtig gedeutet, Sie haben außerdem sein volles Vertrauen erworben, er wird immer wieder zu Ihnen kommen. Sie haben während der gesamten Interaktion mit Ihrem Kunden immer wieder die Seite gewechselt und die Perspektive Ihres Kunden eingenommen. Sie haben Ihre Chance ergriffen und im Gegensatz zu niemals ihren Schwarm verlassenden Heringen oder behäbigen, trägen Karpfen auch genutzt. Der Hering und der Karpfen agieren nicht, sie reagieren: sie schreiben das von der Sardine angeforderte Angebot und warten ab. Erhält ein Hering oder ein Karpfen den Auftrag der Sardine, liefert er nur das, was auch beauftragt ist.

Und doch ist es mit einem Perspektivwechsel, aktivem Zuhören und der Antizipation des Kundenbedarfs nicht getan, zunächst müssen Sie den Kunden davon überzeugen, dass Sie seine erste Wahl sind. Dazu gehört auch Ihre Positionierung: Sie sind keine Kopie, Sie sind kein Teil eines Schwarms, Sie sind die einzige Person, die bestimmte Dienstleistungen in einer bestimmten Kombination gepaart mit bestimmten Kompetenzen anbieten kann. Glauben Sie nicht? Überzeugen Sie sich selbst!

Haben Sie schon einmal den Begriff „Elevator Pitch” gehört? Bei einem Elevator Pitch geht es darum, einen potenziellen Geschäftspartner innerhalb von 30 bis höchstens 60 Sekunden so zu beeindrucken, dass er Sie zu einem ausführlichen Gespräch einlädt. Klingt ganz einfach, ist es aber nicht. Ein Elevator Pitch muss gut vorbereitet werden, der erste Eindruck entscheidet, ob Sie noch einmal eingeladen werden. Unser Tipp: Arbeiten Sie einen Elevator Pitch aus und tragen Sie ihn sich selbst (oder einem/einer Kollegen/-in, Freund/-in) vor. Die Form ist nicht festgelegt, Sie können mit allem arbeiten, was Ihnen zur Verfügung steht. Sie können ein Telefonat simulieren, eine E-Mail schreiben, eine PowerPoint™-Präsentation erstellen – wichtig ist nur, dass sie den Zeitrahmen einhalten. Entscheiden Sie (oder Ihr/e Kollege/-in oder Freund/-in) nach jeder Runde, ob Sie sich eine zweite Chance geben wollen. Begründen Sie Ihre Entscheidung und arbeiten Sie an den nicht ganz so positiv beurteilten Punkten. Sie können Ihren potenziellen Kunden letztendlich nur überzeugen, wenn Sie von sich und Ihrem Können überzeugt sind!

Verlassen Sie Ihren Schwarm und lassen Sie sich auf ein Abenteuer ein: Finden Sie heraus, was Sie einmalig macht und welche Werte Sie für Ihren Kunden generieren können bzw. welche Kunden zu Ihrer einzigartigen Kompetenz passen:

Der Großonkel von Martin Musterübersetzer ist Fischer in der fünften Generation. Seine Frau betreibt seit vielen Jahren ein Fischrestaurant, in dem die vom Großonkel gefangenen Fische frisch serviert werden. Eine Speisekarte gibt es nicht, das Angebot richtet sich nach dem Fang des Großonkels.

Martin Musterübersetzer hat viele Jahre seine Ferien dort verbracht und nicht nur seinen Großonkel auf dem Boot, sondern auch seiner Großtante beim Zubereiten des Fangs geholfen. Martin Musterübersetzer hat sich der vegetarischen Lebensweise verschrieben.

Auf den ersten Blick passt hier nichts zusammen und doch kann Martin Musterübersetzer seine Kenntnisse, Erfahrungen, sein Wissen um Fische und ihre Lebensweisen und Zubereitungsarten nutzen. Dieses, aus erster Hand erworbene Spezialwissen kann ihm die Türen bei allen mit Fischen arbeitenden, über Fische schreibenden und/oder Angelausrüstungen und -bekleidung verkaufenden Kunden öffnen. Darüber hinaus hat seine Großtante gezeigt, wie man alle Tische erfolgreich verkauft, obwohl der Kunde (der Gast) nicht weiß, was er bekommt.

Gehen wir einmal davon aus, dass Martin Musterübersetzer seine vegetarische Lebensweise nur privat auslebt und diese Chance erkennt. Er kann diese Kernkompetenz (sein Spezialwissen über Fische) in Kombination mit seinem Übersetzerberuf vermarkten. Martin Musterübersetzer ist der Hecht oder Schwertfisch unter Karpfen und Heringen, denn:

während Karpfen und Heringe ihre Dienstleistungen als Produkt vermarkten („Ich bin ein hervorragender Silvesterkarpfen” oder „Sie kaufen ein Dutzend frische, nach Art des Hauses zubereitete Bismarckheringe”), verkauft Martin Musterübersetzer sein Wissen über und seine Erfahrung mit Fischen. Dass Martin Musterübersetzer die Namen dieser Fische in verschiedenen Sprachen kennt und sie in allen Einzelheiten beschreiben kann, ist an dieser Stelle nur noch ein Plus – seinem potenziellen Kunden ist wichtig, dass Martin Musterübersetzer dem Zielpublikum auf Augenhöhe begegnen kann.

Anders ausgedrückt: Schauen Sie über Ihre Schreibtischkante hinaus und lernen Sie Ihre Kernkompetenzen kennen! Eine solche Kernkompetenz ist nicht auf das oben als Beispiel herangezogene Spezialwissen beschränkt, Kernkompetenzen sind alle Fähigkeiten, alles Wissen und Können, das Sie mit Ihrem beruflichen Hintergrund Umsatz erwirtschaftend  verbinden können. Oder in anderen Worten: Wenn Sie sich seit 50 Jahren mit Origami beschäftigen, jeden Trick, jede Faltung und auch noch den Spezialwortschatz kennen, aber leider kein Markt dafür vorhanden ist, ist dieses Wissen keine verwertbare Kernkompetenz, das mit Origami verbundene Wissen um Proportionen, Farben und Formen bzw. die Formensprache hingegen schon.

Wissen Sie, dass sehr erfolgreichen Unternehmensgründungen neben der Idee Wut, Größenwahn und Grenzüberschreitungen zugrunde lagen?

Günther Fielmann ärgerte sich einst über Brillengestelle für Kassenpatienten, er setzte dem die heute allseits bekannte Strategie entgegen. Trotz aller Anfeindungen wuchs und gedieh sein Unternehmen und ist heute etabliert. Oder denken Sie an die Lehrerin Anita Roddick: Sie ärgerte sich darüber, dass in einer männlich dominierten Kosmetikindustrie Frauen nicht auf Augenhöhe behandelt wurden und ökologisch einwandfreie Produkte kaum oder nur schwer erhältlich waren. Ihre wütende Antwort war die Gründung von The Body Shop.

Größenwahn wurde dem Wirtschaftswissenschaftler Mohammed Yunus unterstellt, als er begann, in Bangladesch Mikrokredite ohne jede Sicherheit an muslimische Frauen und an die Ärmsten unter den Armen zu vergeben, damit sie sich eine Existenz aufbauen konnten. Für dieses kopfschüttelnd belächelte, als wahnsinnig bezeichnete Mikrofinanzkonzept und die Gründung der Grameen Bank erhielt er 2006 den Friedensnobelpreis.

Der gelernte Buchhändler Peter Dussmann hatte in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts die größenwahnsinnige Idee, der Reinigungsdienstleister im Gesundheitswesen zu werden. Aus der Pedus wurde im Laufe der Jahre die Dussmann Group, die eine ganze Palette Dienstleistungen in verschiedenen Bereichen erfolgreich anbietet.

Oder Hubert Burda und Helmut Markwort, denen es mit Ideen, Sturheit und der Überschreitung der Grenzen eines reinen Nachrichtenmagazins gelang, das Monopol des Spiegels zu brechen. Heute ist der Focus genauso etabliert wie Spiegel und Stern.

Weshalb ich Ihnen diese Geschichten kurz vorstelle? Bis auf die Herren Fielmann (Optiker), Burda (Publizist) und Markwort (Journalist) setzten diese Gründer innovative Ideen um, die sie mit ihren in ihren ursprünglichen Berufen erworbenen Kompetenzen kombinierten. Allen gemeinsam ist, dass nicht das Produkt, sondern die Idee und die Kompetenz dahinter vermarktet wurden. Das können Sie auch: Kombinieren Sie Ihre persönlichen, individuellen, einzigartigen Kompetenzen mit Ihrem Beruf, erschließen Sie sich neue Kundengruppen und neue Geschäftsfelder, nutzen Sie Ihre Erkenntnisse aus Fehlschlägen und halten Sie es wie Albert Einstein: „Es gibt nur einen Weg, um Fehler zu vermeiden: Keine Ideen mehr zu haben!”

Ich wünsche Ihnen immer eine Flossenlänge Vorsprung!

Fußnoten[+]