Man kann nicht nicht kommunizieren

Die meisten Menschen reagieren auf diesen Satz Paul Watzlawicks[1] mit der entschiedenen Behauptung des Gegenteils und führen einen leeren Raum ins Feld, in dem sich schließlich nichts befände, das zu irgendeiner Art Kommunikation anrege. Und doch interagieren Menschen auch in einem leeren Raum:  sie kommunizieren mit ihrer Umwelt, sei es durch Beobachtung der Tür, der Geschehnisse vor dem Fenster oder indem sie – nicht unbedingt verbale – Selbstgespräche führen. Diese Interaktion oder Kommunikation findet auf verschiedenen Ebenen statt, die in ihrer Gesamtheit die von unserem Kommunikationspartner wahrgenommene Botschaft ergeben.

Diese Ebenen sind sowohl verbaler als auch nonverbaler Natur: Die sich in unserer Gestik, Mimik, Körperhaltung und unserer Stimme widerspiegelnden Emotionen, Gedanken und Absichten beeinflussen jeden Gesprächsverlauf.

Wenn Ihr Gesprächspartner Ihnen nicht direkt gegenüber sitzt und Sie damit die nonverbale Ebene Ihrer Interaktion, die Mimik, Gestik und Körpersprache Ihres Gesprächspartners, nicht unmittelbar einordnen können, müssen Sie sich darauf stützen, wie etwas gesagt wird. Das erreichen Sie, indem Sie auf Ihren Gesprächspartner konzentrieren und ihm aktiv zuhören.

Doch was bedeutet „aktiv zuhören” eigentlich?

Aktives Zuhören heißt, den (potenziellen) Kunden und seinen Bedarf zu erkennen, zu verstehen und im besten Fall vorwegzunehmen.

Konrad Adenauer[2] hat das Gegenteil aktiven Zuhörens in seiner Antwort auf einen Zwischenruf eines Fraktionsmitglieds („Herr Bundeskanzler, ich weiß, was Sie sagen wollen!”) treffend zusammengefasst: „Sonderbar, ich weiß im Moment nur, was ich denke. Ob ich das, was ich denke, auch sagen will, das weiß ich aber noch nicht”.

Wenn sich der Zuhörer auf bloßes Hören beschränkt,  gilt seine Aufmerksamkeit nicht dem Gesprächsinhalt, sondern er ist mit sich selbst und/oder einer anderen Tätigkeit beschäftigt. Es geht dem Zuhörer lediglich um das Vorbringen seiner eigenen Ziele, er nimmt die Botschaft seines Gesprächspartners nicht wahr.

Eine weitere Form des Hörens ist das Hinhören, bei dem der Zuhörer das Gesagte tatsächlich aufnimmt, den Inhalt jedoch nicht reflektiert. Er versucht nicht, die eigentliche Botschaft zu erfassen und zu entschlüsseln. Der Sprecher hingegen irrt und nimmt an, dass ihm aktiv zugehört wird.

Missverständnisse, Fehleinschätzungen, unnötige Rückfragen und sogar Verärgerung können die Folge dieses passiven Zuhörens sein.

Beim aktiven Zuhören hingegen versetzt sich der Empfänger in seinen Gesprächspartner hinein, er nimmt Zwischentöne wahr und signalisiert seinem Gesprächspartner, dass er dem Gespräch folgt, sich auf den Inhalt des Gesprächs konzentriert, mitdenkt und seinen Gesprächspartner nicht als Störung, sondern als geschätzten Geschäftspartner begreift.

Carl R. Rogers[3] hat Anfang der Vierzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts ein Modell für das aktive Zuhören entwickelt, das den Prozess des Hörens und Verstehens in vier Phasen einteilt:

wahrnehmen/erkennen -> zuordnen -> abwägen und beurteilen -> antworten

Obwohl Sie Ihren Gesprächspartner bei einem Telefonat in der Regel nicht sehen können, nehmen Sie wahr, was Ihr Gesprächspartner während des Telefonats mit Ihnen tatsächlich tut. Sie „hören” (erkennen), dass Ihr Gesprächspartner Ihnen zuhört, tatsächlich aber mit ganz anderen Dingen beschäftigt ist. Sie „hören”, dass Ihr Gesprächspartner in Eile ist, ohne dass er Sie über seine knapp bemessene Zeit informiert. Sie ordnen diese Wahrnehmungen zu (Ablenkung, Eile), beurteilen die Situation und wägen ab, ob und wie Sie das Gespräch fortsetzen wollen. Schließlich teilen Sie Ihrem Gesprächspartner Ihre Antwort mit, indem Sie beispielsweise vorschlagen, das Gespräch zu einem anderen Zeitpunkt zu führen.

Aktives Zuhören ist eigentlich eine intensivere Form des Zuhörens, die dem Zuhörer ermöglicht, die Botschaft des Sprechers zu entschlüsseln und damit die eigentliche Aussage zu erfassen. Das vielleicht Schwierigste dabei ist, den Gesprächspartner einfach sprechen zu lassen und nur durch eingestreute verbale und nonverbale Signale zu erkennen zu geben, dass Sie seinen Gedanken aktiv folgen. Ein Lächeln, Nicken oder Schulterzucken spiegelt sich in Ihrer Stimme und ist damit auch in kurzen Einwürfen wie „ja”, „verstehe” oder sogar einem „hm” hörbar.

Aktives Zuhören gliedert sich in drei Stufen[4]:

Die erste Stufe legt die Grundlage, sie steht am Beginn des Gesprächs. Auf dieser Stufe signalisieren Sie Ihrem Gesprächspartner, dass Sie ihm aufmerksam zuhören und sich aktiv mit seinem Anliegen befassen.

                Martin Musterübersetzer erhält einen Anruf eines potenziellen Kunden, dem er empfohlen wurde. Der Kunde fühlt sich von seinem bisherigen Dienstleister nicht verstanden. Er erhält zwar erstklassige Übersetzungen,  die jedoch nicht zu ihm und seinem Angebot passen.

                Martin Musterübersetzer freut sich über den Anruf auf Empfehlung und lässt seinen potenziellen Kunden einfach reden. Er streut nur hin und wieder einen kurzen Einwurf ein. Er macht sich Notizen und informiert seinen Gesprächspartner mit Einwürfen wie „das notiere ich mir” darüber. Er erfährt eine Menge über den von seinem Kunden bevorzugen Schreibstil, seine Erwartungen an die Lieferung der Übersetzung und die Abläufe im Unternehmen des Kunden.

Die zweite Stufe befasst sich mit dem Gesprächsinhalt und dessen Verständnis. In dieser Phase des Gesprächs paraphrasieren Sie das von Ihrem Gesprächspartner Gesagte und stellen gegebenenfalls vertiefende Fragen.

                Martin Musterübersetzer fasst das soeben Gehörte an einem dafür geeigneten Punkt des Gesprächs in eigenen Worten zusammen. Er spricht Unklarheiten an und stellt Fragen zu bisher nicht erwähnten Abläufen, die seinem Kunden eventuell nicht bekannt oder für seinen Kunden selbstverständlich sind und daher nicht weiter erwähnt wurden.

Auf der dritten und letzten Stufe verbalisieren Sie die von Ihnen wahrgenommenen emotionalen Botschaften wie beispielweise Zufriedenheit oder Zweifel.

                Ob sein potenzieller Kunde zufrieden ist, kann Martin Musterübersetzer in diesem ersten Gespräch nicht feststellen. Er kann allerdings beurteilen, ob sich sein potenzieller Kunde bestens informiert und wahrgenommen fühlt oder ob er noch Zweifel hegt.

Diese Stufe beschreibt die emotionale Ebene des Gesprächs, die sich nicht allein anhand des Gesagten beurteilen lässt. Die wichtigsten Informationen werden über die Stimmlage, Betonungen und die Länge der Antwort kommuniziert.

  • Die Stimmlage verrät, ob tatsächlich kein Interesse besteht oder der Anruf einfach zum falschen Zeitpunkt erfolgt. Steht der Gesprächspartner beispielsweise unter Zeitdruck oder möchte das unterbreitete Angebot aus einem anderen Grund gerade nicht diskutieren, kann er das Gespräch mit der Behauptung, kein Interesse zu haben, aus seiner Sicht am schnellsten beenden. Die Kunst ist, bereits zu Beginn des Gesprächs aus der Stimmlage auf die Stimmung des Gesprächspartners zu schließen und entsprechend zu reagieren.
  • Werden bestimmte  Wörter immer wieder betont oder sehr häufig verwendet, gibt das Aufschluss über das tatsächliche Ansinnen des Sprechers: Klassische Beispiele sind Wörter wie „Kosten”, „Leistung”, „Qualität”, „Lieferzeit”, aber auch Redewendungen wie „das ist ja schön und gut”, Adverbien wie „eigentlich”, Konjunktionen wie „aber” (Einwand) und „oder” (Zweifel).
  • Die Länge der Antwort und ihre Ausführlichkeit verraten, ob der Gesprächspartner den Eindruck hat, dass seine Botschaft tatsächlich angekommen ist. Ein geübter Zuhörer kann schnell feststellen, ob sein Gesprächspartner gerade ein Referat hält oder den Eindruck hat, dass die bisher gegebenen Informationen nicht ausreichend waren.

Das aktive Zuhören nutzt Aufmerksamkeitsfragen, Rückfragen, Entscheidungsfragen und reflektierende Fragen. Mit diesen Fragen fassen Sie das Gehörte zusammen und geben Ihrem Gesprächspartner Gelegenheit, seine Botschaft zu ergänzen, zu konkretisieren und Missverständnisse zu korrigieren.

Aktives Zuhören ist Übungssache. Analysieren Sie in einer stillen Stunde einmal die bis dahin geführten Gespräche, lassen Sie sie Revue passieren und überlegen Sie, ob Sie wirklich alle Facetten dieser Gespräche wahrgenommen und erfasst haben. Das Ergebnis wird Sie überraschen!

Ich wünsche Ihnen spannende Gespräche!


[1] Original englisch: „One cannot not communicate. – Paul Watzlawick, Janet H. Beavin, Don D. Jackson. Pragmatics of Human Communication. New York W. W. Norton 1967. p. 51

[2] Konrad Adenauer, 1876-1967, deutscher Politiker und deutscher Bundeskanzler (1949-1963)

[3] Carl Ransom Rogers, 1902-1987, amerikanischer Psychologe und Psychotherapeut

[4] Friedemann Schulz von Thun, Johannes Ruppel, Roswitha Stratmann,  Miteinander reden: Kommunikationspsychologie für Führungskräfte, 2000/2003 Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek, Seite 72